Lesung mit Bernd Siegler

1933 erhielt der gebürtige Nürnberger Franz Anton Salomon einen Brief von „seinem FCN“, der ihn darüber in Kenntnis setzte, dass er mit Wirkung zum 1.Mai 1933 aus der Mitgliederliste gestrichen wird.
Der Grund: Franz Anton Salomon ist Jude.

Das war eines der vielen Schicksalen von denen der Buchautor Bernd Siegler vergangenen Donnerstag im St. Paddy`s in der Himmelsleiter erzählte. 
Der Ortsverein der SPD hatte den Clubarchivar zu einer Buchvorstellung seines Werkes „Heulen mit den Wölfen – der Club im Nationalsozialismus“ nach Altdorf eingeladen.

In einem Keller des 1. FC Nürnberg fand der Hausmeister vor ein paar Jahren verstaubte Umzugskartons. Siegler öffnete damals den ersten Karton und erkannte sofort, dass es sich nicht um Stadionhefte handelte, sondern um Karteikarten, alphabetisch sortiert. Aal, Hans-Alfred, das ist der erste Name. Die Karte ist handschriftlich ausgefüllt, darauf das Geburtsdatum Aals, das Eintrittsdatum, geleistete Mitgliedsbeiträge. Nur am oberen Rand wurde die Karte einmal gestempelt, hinter „Austritt“: 30. APR 1933. In diesem Moment habe Siegler, geahnt, was er da vor sich hatte und das auch nur, weil er sich seit Jahren schon intensiv mit dem Thema beschäftigt hatte. Mit der Rolle des Clubs im Nationalsozialismus. 

In seinem Buch, welches auf diesem Fund der Karteikarten beruht, widmet sich Siegler den Biografien der 142 bereits im April 1933 ausgeschlossenen jüdischen Mitglieder. Vereine gehörten damals noch mehr als heute zum festen Lebensumfeld und waren wichtige Bestandteile im Leben der Bevölkerung. Die 142 Männer und Frauen wurden zum Teil ihrer Identität und ihres festen Umfelds beraubt. 129 der portraitierten Menschen überlebten das Morden, ihre Spuren ließen sich von Bernd Siegler in alle Welt verfolgen.
Es handelt aber auf der anderen Seite auch von den damaligen Tätern und wie diese nach 1945 wieder an einflussreicher Stelle wirken konnten.

Beim Zuhören von Siegler bekommt man ein Gefühl für die Personen und damit für die Vielzahl der Tragödien, die der Rassenwahn in NS-Deutschland schuf. So wurden auch verdiente Mitglieder wie Dr. Franz Cahn, der sogar an der Club-Satzung maßgeblich miterarbeitet hatte, aus dem Verein ausgeschlossen. Er konnte 1937 mit Mühe und Not nach England fliehen, wurde dort aber erst mal als „feindlicher Ausländer“ kaserniert.

Berührend war auch die Geschichte von Werner Gruber, Sohn eines evangelischen Vaters und einer jüdischen Mutter, der als Junge keine Ahnung hatte, wer ein Jude war und wer nicht. Er wurde als 16-Jähriger ausgeschlossen und bis nach New York geschickt. Er verstand zeitlebens nicht, was nicht zu verstehen ist: „Es war so schockierend für mich, ich war so jung, so unschuldig.“ 

Der Abend war ein eindringliches Plädoyer gegen nazistisches Denken und Handeln, nicht nur in Vergangenheit, sondern gerade jetzt in der Gegenwart!